Ist die Hyperemesis gravidarum eine Erkrankung, die nicht ausreichend ernst genommen wird?
Nicht nur Patientinnen beklagen, dass sie sich nicht ausreichend ernst genommen fühlen, auch einige Wissenschaftler benennen das Problem. Deshalb hier ein Zitat von Attard et al. aus dem Jahre 2002. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Übelkeit und das Erbrechen in der Schwangerschaft klassischerweise als „begrenzter Dyskomfort“ beschrieben werden oder auch als „mild und selbstbegrenzend“. Solche Beschreibungen, so die Autoren weiter, lassen die Symptome trivial erscheinen. Der wahre Effekt der Übelkeit und des Erbrechens auf das Leben vieler Frauen werde so kleingeredet. Sie weisen darauf hin, dass eine bessere Achtsamkeit bezüglich des medizinischen Zustands, der Schwere der Symptome und deren Einfluss auf die Fähigkeit der Frauen, ihre Aufgaben zu meistern erforderlich seien, um in der Lage zu sein, effektive Therapieangebote zu machen …:
"To date, NVP has typically been described as “mild and self-limiting” or as a “limited discomfort” with only one in every 200 or 300 women requiring parenteral nutrition. These descriptions have made the symptoms appear trivial and the true effect that NVP has on many women’s lives has been minimized. Health caregivers are not well equipped to advise and support women who have NVP because the qualitative experiences with NVP have not been adequately documented. A better awareness of this medical condition, severity of its symptoms, and their influence on a woman’s functional status are required to be able to provide effective interventions that protect a woman’s health-related functional status."
Literaturbeispiele von Autoren, welche die Hyperemesis gravidarum als ein schwere Erkrankung sehen
Der dramatischen Effekt, den die Hyperemesis gravidarum auf das Leben der Betroffenen hat, wird von zahlreichen Wissenschaftlern hervorgehoben – genauso wie immer wieder betont wird, dass es sich um eine schwere Erkrankung handelt. Beispielhaft hier einige Zitate:
Attard et al. 2002 zeigen mithilfe einer eigenen Studie die dramatischen Auswirkungen einer schweren NVP (in etwa gleichbedeutend mit Hyperemesis gravidarum) auf das Leben der Betroffenen – in familiärer, sozialer und beruflicher Hinsicht – und fordern, dass dieser Zustand von den Angehörigen des Medizinsystems ernst genommen werden sollten, welche dafür verantwortlich seien, den Frauen die Versorgung in der Schwangerschaft zukommen zu lassen:
"Our study illustrates that severe NVP has a dramatic effect on women’s family, social, and occupational functioning and is a condition that should be taken seriously by health care professionals responsible for providing care to women during pregnancy."
Van Stuijvenberg et al. 1995 sehen in der schweren Übelkeit und dem Erbrechen nach der 14. Schwangerschaftswoche eine Störung, welche mit großen Risiken einhergeht. Sie weisen darauf hin, dass die Hyperemesis gravidarum zwar nur bei einem kleinen Prozentsatz der Frauen auftrete, aber hohe Risiken berge und die Behandlung ohne Verzögerung eingeleitet werden sollte:
"Hyperemesis gravidarum, severe nausea and vomiting persisting after the fourteenth week of pregnancy, is a high-risk disorder [...]" und "Although hyperemesis gravidarum occurs in only a small percentage of pregnancies, it is a high-risk disorder, and when it is encountered treatment should be initiated without delay."
Fejzo et al. 2009 unterstreichen, dass das Spektrum der in ihrer Untersuchung berichteten Erkrankungen und physischen Einschränkungen im Zusammenhang mit einer Hyperemesis gravidarum bemerkenswert sei und dem entspreche, was man aus der gegenwärtigen Literatur über die schwerwiegenden Auswirkungen dieses Zustandes auf das tägliche Leben der betroffenen Frauen bereits wisse:
"The spectrum of reported disease and physical disability [im Zusammenhang mit einer HG] is remarkable and is consistent with the current literature about the profound impact of this condition on affected women’s daily lives."
Heazell et al. 2005 heben hervor, dass die Hyperemesis gravidarum eine potentiell gefährliche Komplikation in der Frühschwangerschaft sei, welche in seltenen Fällen schwer genug sein könnte, einen Abbruch der Schwangerschaft zu rechtfertigen. Eine Hyperemesis erfordere, so die Autoren weiter, eine sofortige Behandlung:
"Hyperemesis Gravidarum (HG) is a potentially serious complication of early pregnancy, which may rarely be severe enough to warrant termination of pregnancy. HG requires prompt treatment with intravenous fluids, thiamine supplementation and appropriate anti-emetic therapy."
Forderung nach einer verbesserten Versorgung durch die amerikanische HER-Stiftung
Noch ein Hinweis, den ich von der Internetpräsenz der amerikanischen Hyperemesis-Stiftung "HER Foundation Hyperemesis Education & Research" zum Thema "Nutritional Therapy" übernehme: Dort steht, dass in der Schwangerschaft eine Hungerphase über Wochen und Monate toleriert werde. Den schwangeren Frauen werde gesagt, dass dies nicht schädlich für sie selber und ihr Kind sei, während OP-Patienten üblicherweise bereits nach einer Woche künstlich ernährt werden würden. Dass solche langen Hungerphasen während der Schwangerschaft akzeptabel seien, dafür gäbe es in der Forschung laut den Autoren der HER-Homepage keinen Beleg und deshalb fordern sie, dass Frauen mit HG ebenfalls besser versorgt werden müssen.
Verwendete Literatur
- Miller, F. (2002): Nausea and vomiting in pregnancy: The problem of perception—is it really a disease? In: American Journal of Obstetrics and Gynecology 186 (5), S. 182–183.
- Attard, C. L.; Kohli, M. A.; Coleman, S.; Bradley, C.; Hux, M.; Atanackovic, G.; Torrance, G. W. (2002): The burden of illness of severe nausea and vomiting of pregnancy in the United States. In: American Journal of Obstetrics and Gynecology 186 (5), S. 220–227.
- van Stuijvenberg, M. E.; Schabort, I.; Labadarios, D.; Nel, J. T. (1995): The nutritional status and treatment of patients with hyperemesis gravidarum. In: Am. J. Obstet. Gynecol. 172 (5), S. 1585–1591.
- Fejzo, M. S.; Poursharif, B.; Korst, L. M.; Munch, S.; MacGibbon, K. W.; Romero, R.; Goodwin, T. M. (2009): Symptoms and pregnancy outcomes associated with extreme weight loss among women with hyperemesis gravidarum. In: J Womens Health (Larchmt) 18 (12), S. 1981–1987. Online verfügbar unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2828197/
- Heazell, A. E. P; Langford, N.; Judge, J. K.; Heazell, M. A.; Downey, G. P. (2005): The use of levomepromazine in Hyperemesis Gravidarum resistant to drug therapy—A case series. In: Reproductive Toxicology 20 (4), S. 569–572.
- http://www.helpher.org/hyperemesis-gravidarum/treatments/nutritional-therapy/index.php
Beschwerden, die auf eine Hyperemesis gravidarum hinweisen könnten, gehört immer in die fachkundigen Hände eines Mediziners. Nur dieser kann die im Einzelfall notwendigen Untersuchungen durchführen und erkennen, ob es sich überhaupt um eine Hyperemesis gravidarum handelt. Nur der Fachmann kann die möglichen Risiken managen und die Behandlung verordnen. Falls Sie betroffen sind: Zögern Sie nicht zu lange und wenden Sie sich an Ihren Arzt oder gegebenenfalls an die Notaufnahme des Krankenhauses.
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Letzte Bearbeitung am 16.03.2017 durch Anne Hutter