Kraftquellen, um seelisch unbeschadet über die Zeit der Hyperemesis zu kommen:
Neben den ganz praktischen Strategien zum täglichen Überleben, der Suche nach Möglichkeiten der Nahrung- und Flüssigkeitsaufnahme (so, dass das Aufgenommene eine Chance hat eine Zeit im Körper zu verweilen), den Überlegungen, welche Nahrungsmittel und Getränke am wenigsten unangenehm sind, wenn sie nicht im Körper bleiben wollen, den Tricks, um die Übelkeit ein wenig zu mindern ... entwickelt jede Frau zusätzliche Strategien zum Durchhalten. Ein paar dieser Durchhaltestrategien seien hier aufgeschrieben:
Liebevoll mit sich selber umgehen:
Das klingt selbstverständlich und ist es doch nicht. Am Anfang steht die Wahrnehmung, was einem gut tut und was nicht. Und dann gehört dazu, mit sich selber respektvoll zu sein. "Mir geht es nicht gut": Meist ist es einem ja anzusehen - aber nicht immer und nicht für alle. Oft sind die Umstehenden einfach ratlos. "Es geht mir nicht gut." - "Das ist so." - "Was mir helfen könnte ist ..." - "Es würde mich freuen, wenn Du das und das liest um einen Eindruck zu haben davon, wie es mir geht." Ruhe, wenn Ruhe gut tut: Auch das klingt einfacher als es ist, denn Ruhe will geschaffen sein. Was braucht es, damit die Ruhe auch wirklich Ruhe ist? Wer kann was übernehmen, damit der eigene Stresspegel sinkt? Ablenkung und Auszeiten: Wenn es Tage gibt, an denen es besser wird - oder auch nur Stunden, dann ist es wie ein "Freigang", aus dem Haus (wahlweise auch aus dem Krankenhaus) heraus zu kommen, den ersten Kaffee in einem Café zu trinken oder auch nur daran zu nippen, die Sonne auf der Nase zu spüren ... Kraftquellen suchen: Was gibt mir Kraft? Was tut mir gut? An was aus dem Leben vor der Hyperemesis kann ich anknüpfen? Was erinnert mich an mein vorheriges Leben als gesunde, kompetente Person? Kräfte einteilen: Eine leichte Hyperemesis kann nach einigen Wochen vorbei sein, eine schwere Hyperemesis kann Monate andauern. Die langwierigen Krankheitsverläufe sind eine Belastung für das gesamte Familiensystem. Ich persönlich erachte es für sinnvoll sich darauf einzustellen und darauf zu achten, dass Organisationsformen des Alltags gefunden werden, die über einen längeren Zeitraum hinweg aufrecht erhalten werden können. Eigene Handlungsmöglichkeiten erkennen: Die Hyperemesis reißt die betroffenen Frauen ziemlich unmittelbar und ohne Vorwarnung aus dem "alten" Leben heraus. Es fühlt sich an als rolle sie über einen hinweg und als gäbe es kaum etwas, wodurch man Einfluss gewinnt auf das eigene Übel. Mir ist auch völlig bewusst, dass all das, was ich oben geschrieben hat den eigenen Zustand nur minimal - wenn überhaupt - verbessert. Die Hyperemesis ist stark. Das Gefühl des Ausgeliefert-Seins ist für viele Betroffene besonders quälend. Auf einmal ist die Frau in den einfachsten Dingen angewiesen auf andere Menschen. Umso wichtiger finde ich, persönlich den Blick immer wieder auf das zu lenken, wo man selber Einfluss hat, wo das eigene Handeln die eigene Situation verbessert - und sei es auch indirekt, indem das Versorgungssystem dadurch besser funktioniert. Belohnungen: Heldinnen, die für das ersehnte Kind eine Hyperemesis-Schwangerschaft auf sich genommen haben, die haben Anspruch auf den Hyperemesis-Orden (Väterbasteln). Oder auf ein Stempelheft, in dem es Belohnungsstempel für jeden schwierigen Tag, jeden unangenehmen medizinischen Eingriff gibt ... Es geht um eine sichtbare Würdigung dessen, was die Frau bereit ist zu ertragen. |
Wut und Schmerz einen Raum geben:
Eine Erkrankung, welche einen so überrollt, löst Gefühle von Wut, Verzweiflung und Traurigkeit aus. Und weil diese Emotionen sich ohnehin ihren Raum suchen erachte ich es für sinnvoller, ihnen bewusst einen Raum zu geben. In dem Buch „Morning sickness 24/7“ beschreibt die Autorin Tabby Silcott die Strategie des einmal Weinen am Tag. Das erinnert mich an einen meiner therapeutischen Ausbilder, welcher dies umschrieb mit der Formulierung: "Have a good cry." Ein "gutes Weinen" kanalisiert und erleichtert. Es ist eine innere Verneigung vor dem Schmerz, wobei im Gegenzug der Schmerz bereit ist, danach wieder in den Hintergrund zu treten - zumindest für eine kleine Weile. Nach Trost und Verständnis suchen: Oft will die Traurigkeit und der Schmerz über die Situation nicht so recht in den Hintergrund treten. Eine Hyperemesis kann depressiv machen. Es ist nicht möglich, sich in dieser Situation ausschließlich selber zu trösten. Es braucht Menschen um einen herum, die Trost spenden, Hoffnung machen, Verständnis entgegenbringen, unterstützen. Kinder, welche schwierige Verhältnisse psychisch unbeschadet überstanden haben hatten häufig jemanden in ihrem Umfeld, bei dem sie sich emotional aufgehoben fühlten. Ich bin davon überzeugt, dass auch Frauen mit Hyperemesis eine wesentlich bessere Chance haben, gut die üble Zeit zu überstehen, wenn sie wenigstens einen Menschen haben, wo sie das Gefühl von Verständnis haben. Deswegen ermutige ich dazu, danach gezielt zu suchen. Ausblick: Monate des Erbrechens sind endlos lang und zu den besonders unbeliebten Sätzen gehört gegen Ende der Schwangerschaft das immer wiederkehrende: "Jetzt hast du es ja bald geschafft." Aber die Belohnung für das Leid, das Kind, das heranwächst, gibt dem Elend einen Sinn. Das Ultraschallbild am Anfang der Schwangerschaft, der wachsende Bauch, die ersten Tritte, das Streicheln über den gefühlten Kopf, das ein oder andere imaginäre Gespräch mit dem Ungeborenen schaffen einen Ausblick. Distanz durch Witz und Ironie: Lachen in tragischen Situationen kann ungemein erleichternd sein. Es verändert den Blickwinkel. Wenn jemand etwas Verletzendes gesagt hat und man erzählt das so, dass es komisch wirkt, dann ist dadurch Distanz geschaffen. Es gibt im Hyperemesis-Forum einige Beispiele für Humor in der Tragik. Und bereits der Pragmatismus, mit dem Strategien zum "Schöner-Brechen" überlegt werden, kann komische Züge annehmen. Aussöhnung mit dem Schicksal: Ich persönlich habe mir in der ersten Schwangerschaft gesagt: Wenn mich das Schicksal fragen würde, ob ich lieber eine Hyperemesis hätte oder lieber Blutungen, welche den Fortbestand der Schwangerschaft gefährden würde, ich hätte die Hyperemesis gewählt. Und in der zweiten Schwangerschaft habe ich mir gesagt: Wenn mich nun das Schicksal fragen würde, ob ich das Ondansetron (Medikament gegen das Erbrechen) lieber einnehmen würde im Rahmen einer schweren Hyperemesis oder im Rahmen einer Chemotherapie zur Behandlung einer Krebserkrankung, dann hätte ich selbstverständlich den Zustand des werdenden Lebens gewählt und nicht den des möglichen Todes. Natürlich habe auch ich beim Anblick von Schwangeren, die so scheinbar problemlos durchs Leben schritten, mit dem Schicksal gehadert und doch stimmte es mich versöhnlich, wenn ich mir bewusst machte, dass es auch schlimmer kommen könnte. |
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Beschwerden, die auf eine Hyperemesis gravidarum hinweisen könnten, gehört immer in die fachkundigen Hände eines Mediziners. Nur dieser kann die im Einzelfall notwendigen Untersuchungen durchführen und erkennen, ob es sich überhaupt um eine Hyperemesis gravidarum handelt. Nur der Fachmann kann die möglichen Risiken managen und die Behandlung verordnen. Falls Sie betroffen sind: Zögern Sie nicht zu lange und wenden Sie sich an eine Hebamme oder einen Arzt Ihres Vertrauens oder gegebenenfalls an die Notaufnahme des Krankenhauses.
letzte Bearbeitung am 11.12.12 durch Anne Hutter